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Das Licht des neuen Tags schien in den Thronsaal. Hochfürst Korrbrin Kassiopeia saß bereits seit Stunden auf dem unbequemen Platin-Herrschaftssitz. Angespannt glitten seine Hände über die dekorierten Armstützen. Er krallte die Finger in die metallenen Bay Neruda. Ihr fiktionaler Kampf spielte seinen momentanen Gemütszustand wieder. Er wartete auf einen Klienten. Mittlerweile war es offensichtlich, dass man ihn mit Absicht warten ließ. Seine Frau und seine Geliebte sahen es anscheinend genau so. Die Fürstin blieb den ganzen Tag neben ihm.
Die beste Leibwächterin, die man sich wünschen konnte, schaute ihn genervt von der Seite an. »Bei der dunklen Mutter. Da kommt niemand, willst du hier noch länger sitzen? Du machst dich lächerlich auf deinem überteuerten Protz-Thron.« Er schaute genervt zwischen den Frauen hin und her. Die Herrscherin lächelte spöttisch. Korrbrin sprang auf und lief nach hinten zum Aufzug. »Ich werde schauen, wo unser Besuch bleibt.« »Sei auf der Hut, mein Geliebter.«
»Das schaffst du allein, oder?« »Keine Sorge, meine Damen, es ist meine verdammte Festung.« Er dachte daran, wie wenig er über den Gast wusste. Es kam ihm in Erinnerung, dass er absolut nichts in Erfahrung hatte bringen können. Seine Besorgnis wuchs. »Willst du mich nicht doch begleiten, Geliebte?« »Nein, mein Liebling, ganz sicher nicht.« »Ganz sicher?« Der Fürst stieg in die Edelstein-Kabine. Bevor er das Gitter schloss, schaute er noch einmal zu den Frauen. Er wäre froh gewesen, wenn die größte Kriegerin der Bashardi oder seine Königin ihn begleitet hätte. »Ich weiß nichts über unseren Gast.«
»Du schaffst das, mein Geliebter. Wenn nicht, werde ich um dich trauern.« Betteln wollte er nun auch nicht. Er spürte, wie das Flüssigmetall aufstieg und die Kabine hochdrückte. Korrbrin beobachtete, wie seine Geliebte auf dem Thron Platz nahm. »Mit mir können sie es ja machen«, murmelte er. Die Kabine beschleunigte, der Druck stieg an. Er legte die Finger auf seine an Schmetterlingsflügel erinnernden Ohrmuscheln. Der Höhendruck war immer ein Problem. Zehn Kilometer in wenigen Minuten. Das ging selbst einem Bashardi auf die Ohren. Er betrachtete sich im polierten Glas. Das silberweiße Haar war zu einem Zopf zusammengebunden. Das Zepter aus schwarzem Kristall hing an seinem Gürtel. Der Fürst richtete den dunkelroten Umhang und prüfte den blauen Anzug, er wollte trotz des Wartens einen guten Eindruck machen. Er war der Fürst, sein Erscheinungsbild spiegelte sein Reich wider. Die Kabine stockte. Ein Zahnrad ratterte und drehte die tropfenförmige Kammer um neunzig Grad. Frische Luft schlug ihm entgegen. Seine Nase kribbelte. Der Geruch war der früheren Slayer-Legende wohl bekannt. Es stank nach rostigem Eisen. Er zog das Gitter zur Seite. Der metallische Geruch verstärkte sich. Er ging ein paar Schritte und bog dann um die Kurve. Fürst Korrbrins Vermutungen bestätigten sich: Es war Blut, der Lebenssaft der eigenen Leute. Nicht weit entfernt kauerte ein Diener zusammengesunken am Boden, sein Bauch brutal aufgerissen. Der Vallinora-Fürst nahm das, was sein Gefolge als wahre Herrschaftsinsignie kannte, vom Gürtel. Die Orbs an den Enden glommen violett. Korrbrin sandte Energie hinein. Eine nachtschwarze Flamme loderte aus der Waffe. Drei magischen Feuerklingen waren ein Erbe seines Hauses. Dank der Liebe zu seiner Jüngsten misste Korrbrin zwei deutlich bessere Schwerter. Sein Schwarzfeuerschwert drohend vor sich haltend, schritt er voran. Der Boden war überall mit Blut besudelt. »Hier ist ganz schön was schiefgelaufen.«
Er bewegt die Finger der freien Hand in einem Muster. Dabei flüsterte er leise. Seine eigene Spezialität, was Magie anbelangt, sollte vorbereitet sein. Korrbrin betrat die lange Galerie mit den leuchtenden Steinen. Überall fand er den Tod. Dutzende mit brutalster Gewalt ermordete Diener lagen zu seinen Füßen. Am Ende des Ganges entdeckte er den ersten Bharagas-Soldaten. Bei dem Anblick dachte er an Chamenage, seinen besten Schwertkämpfer. Leider kostete diesen eine Verfehlung die Ehre. Er nahm dem jungen Kempen daraufhin den Eid ab, seine Jüngste sein Leben lang zu beschützten. In diesem Moment vermisste er seinen Beistand allerdings. Chamenages Schlupfbruder war zerfetzt, zwei der vier Arme bestialisch abgerissen. Der Hundertfüßlerleib mehrfach mit roten Kristallscherben durchbohrt. Fürst Korrbrin wurde nervös. Die Diener waren eine Sache, die Palastwachen eine andere. Die Bharagas besaßen eine beachtliche Kampfkraft. In engen Räumen galten sie als unschlagbar. Er bog um eine weitere Abzweigung und lief in Richtung Plattform, dem Aufstieg zum Dach und dem Thor. »Wo ist die Palast-Garde?« Der Kassiopeia Patriarch machte sich Sorgen. Sein Palast galt als uneinnehmbar, trotzdem bedeckten seine toten Kämpfer den Boden. Auf dem Weg nach oben vermisste er die Geistergarde. Sie waren adlige rein geborene Bashardi und seine besten Schüler. Er kam an eine Abzweigung. Alle seine Besucher nutzten das große Portal des Glasknochens. Das Gate war der wertvollste Besitz des Kassiopeia-Clans. Es verband das Reich mit den großen Städten der Welt und sorgte für einen beständigen Strom an Handelsgütern, Besuchern und den damit verbundenen Reichtümern. Der Gast, den er erwartete, schien nicht der friedliche Händler zu sein, auf den er bereits zwei Monate wartete. Gestern kam ein Bote in Form eines schwarz-roten Schmetterlings. Heute sollte der Mann ankommen - mit einem lohnenden Auftrag im Gepäck. Die Haare an Armen und Beinen stellten sich auf. Er entfesselte die Magie, die er schon seit dem Verlassen der Kabine vorbereitet hatte. Korrbrin Kassiopeia spürte, wie die Energie an den Wänden entlang kroch. Ein Hieb traf ihn, riss ihm den Kopf von den Schultern. Er sah, wie sein eigenes Haupt zu Boden stürzte. Der Kopf wurde zu rotem Nebel und löste sich auf. Die Gestalt, die ihn enthauptet hatte, stand mit erhobener Sense da und sah überrascht auf die letzte Rauchschwade. Der Fürst ließ das Flammenschwert niedersausen. Die Gestalt fing die Waffe mit bloßen Händen ab. Ihr Lachen ließ ihn erschaudern. »Das soll wohl ein Scherz sein?« »Eine Frau?«, rief Korrbrin. »Das war wohl nicht die letzte Lüge.« »Gut erkannt. Du bist der Fürst, die Slayer-Legende Korrbrin Kassiopeia?« »Das bin ich.« Sie lachte wieder diesmal weniger laut und viel gekünstelter. »Du hast eine Barriere errichtet, um dich zu schützen. Lass mich dir sagen, das wird nicht funktionieren. Sag mir, bist du bereit für den letzten Tanz des Abends?« Die Frau ließ den Schatten fallen. Korrbrin sah schwarzes, hüftlanges Haar mit roten Strähnen. Der Leib wurde geschützt von einer blutroten Kristall-Rüstung. Auf der Brust entdeckte er ein Symbol: ein Auge, eingefasst von vier Drachen, darüber zwei Amulette. Ihre Waffe war eine Sense ebenso schwarz mit kurzem Stab. Dunkelheit tropfte wie Tinte von der Klinge. Die Kriegerin schnellte vor, drehte dabei die Sense und schlug von unten zu. Die Schattenschneide drang in seine Hüfte ein und glitt durch seinen Leib. Am Hals trat sie aus und teilte ihn in zwei Stücke. Korrbrin Kassiopeia sah dabei aufmerksam zu. Im nächsten Moment verschwand die Kopie. Er schnellte vor. Sein Schwert traf ihre Schulter und prallte wirkungslos davon ab. Die Kämpferin tänzelte um ihre Achse. Diesmal traf ihre Klinge den Kopf und pflückte ihn vom Hals. Er ahnte die Nutzlosigkeit seiner Waffe. Er legte sie vorsichtig zu Boden. Der nächste Schlag teilte ihn durch die Brust. Das eigene Ende wieder und wieder mit anzusehen, bereitete ihm kein Vergnügen. Ohne Barriere wäre seine Herrschaft längst zu Ende. Die Barriere veränderte in einem eingegrenzten Gebiet die Realität. Sie riss ein Fragment aus der Realität und fügte dort eine Kopie, aus einer anderen Dimension ein. In dieser ganz eigenen Welt konnte Korrbrin Kassiopeia nicht getötet werden, wenn er wollte, bestimmte er die Naturgesetze. Es war kein Vergleich zu seiner Geliebten, aber auch er beherrschte das nasse Element. In beiden Händen wandelte er magische Energie um. Der fast drei Kilometer lange Gang stand nur einen Augenblick später unter Wasser. Das Nass nahm der Sensen Kämpferin die Geschwindigkeit. Den Atem raubte es ihr aber nicht. Deutlich sah Korrbrin, wie sie unter Wasser ein und ausatmete. Die Kriegerin lächelte ihn an, drehte die Sense herum und wies mit dem Stab auf ihn. Genau so schnell, wie der Raum geflutete wurde, verschwand das Nass. Der Fürst war ein sehr erfahrener Kämpfer und hat Ähnliches schon auf dem Schlachtfeld und bei Duellen erlebt. In diesem Kampf hatte er nicht damit gerechnet. »Welch eine Freude. Du besitzt eine Waffe, die elementar Magie versiegelt«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie gab ihm keine Antwort, sondern schlug ihn von oben bis unten in zwei Teile. Er beobachtete jeden seiner Tode und suchte nach einer Schwachstelle. Er hatte bereits eine Vermutung darüber aufgestellt, zu welchem Volk seine Gegnerin gehörte. Die Sensen-Kämpferin schlug mit der Klinge gegen die Wand. Die Barriere leuchtete auf. Korrbrin Kassiopeia formte Zeichen mit den Fingern, er musste die Realität verändern. Beide Zauber zusammen waren kraftraubend, aber sterben konnte er in seiner Barriere nicht. Wohl jedoch die magische Kraft verlieren. Die Kämpferin schlug wieder gegen die Wand, diesmal reagierte die Barriere. Geisterhafte Klauen griffen nach ihr. Er versuchte, sie so zu fesseln, doch sie befreite sich, schnellte erneut vor und streckte ihn nieder. Kaum hatte ihn seine Magie regeneriert, schlug sie ihm die Beine ab und rammte ihm die Klinge in den Kopf. Er kam wieder hoch. Sie hackte ihm in einer schnellen Bewegung die Arme ab, tänzelte und fetzte ein zweites Mal die Beine weg. Korrbrin war das recht. Sollte sich die Gegnerin erst einmal verausgaben. Der Fürst hoffte, dass sie davon ausging, ihn nur oft genug töten zu müssen, um zu siegen. Da dachte sie falsch. Was in der Barriere passierte, war egal, so lange die magische Energie ausreichte. Die Sensenkämpferin fällte Korrbrin dutzende Male. Ihre Ausdauer ließ tatsächlich nach. Sie stellte sich in die Mitte des Ganges. Die Sense platzierte sie auf den Boden und lächelte ihn an. Es schien, dass sie den Zauber durchschaute. Der Fürst blieb nicht untätig, er wusste längst, zu welchem Volk die Kontrahentin gehörte. Um den Kampf zu beenden, musste er schnell sein, richtig schnell. Die Kraftlinien zu nutzen, war unabwendbar. Die Gegnerin provozierte ihn. »Was tust du jetzt? Du bist ein Vallinora, ich eine Drag. Dein Volk ist nicht dafür bekannt, Magie lange aufrecht zu erhalten«, rief sie ihm spöttisch zu. Sie hatte recht, ihm blieb keine Wahl, er musste es tun. Er zog den Mantel aus, warf ihn in die Ecke. Sein Hemd und die Handschuhe folgten. Die Hose kam als Nächstes. Das Kettenhemd und die Unterkleider darunter landeten auf dem Boden. Als letztes die Stiefel. Die Drag sah ihn erstaunt an. Schwarze Linien erschienen auf seiner Haut, Muskeln wuchsen. Seine Augen wandelten sich. Die Linien traten deutlicher hervor. Seine Hände formten Zeichen, so schnell, dass ein Pfeifton erklang. Auch die Augen der Kontrahentin veränderten sich, wurden golden. Runen erschienen, verschwanden. Ihre Magie war stark. Sie drang in seinen Körper ein. Ihr Ziel war es, seine Bewegungen zu verhindern oder zumindest abzuändern, aber er war zu stark und zu schnell für sie. Er beendete den tausend Zeichen fassenden Zauber. Die Luft flackerte, der Untergrund knirschte. Die Frau schlug zu Boden. Das Metall unter ihr knirschte und verformte sich. Sie war bewegungsunfähig. Der Anführer des Kassiopeia-Clans ging voran. Jeder Schritt unvorstellbar anstrengend. Er wog das Vielfache, nur durch die Energie der Linien war er stark genug, um zu gehen. Im Gang hatte die Schwerkraft immens zugenommen. Ein Vallinora war von Natur aus ein Leichtgewicht. Die Drag hingegen wog das Zwanzigfache wie er und war deshalb am Boden festgenagelt. Er lief zu ihr, die immer fester in das Metall gepresst wurde. Über ihr angelangt, rief er einen Sarill herbei, einen Lichtelementar in Form einer schwebenden Qualle. Das Tier zerfiel. Es schuf aus seiner Lichtmagie eine schimmernde Klinge. Korrbrin richtete sie auf den Kopf der Gegnerin. »Sind wir jetzt fertig?« Sie schien den Kopf bewegen zu wollen. Er sah das als Bestätigung und löste die Barriere auf, weiterhin die Lichtklinge bereit, um sofort zu zustoßen. Korrbrin schob die Sense mit dem Fuß zur Seite. Die Frau konnte sich wieder rühren. Sie rollte auf den Rücken und sah ihn an. Um sie herum stiegen schwarze Schlieren auf. Korrbrin Kassiopeia erkannte das Subvolk, zu dem die Drag gehörte. Ihm wurde klar, dass sie nur mit ihm spielte. Diese Frau war in der Lage, das ganze Land in wenigen Tagen zu entvölkern. Die Drag sah zu ihm auf, lächelte ihn süffisant an, ihre Stimme hatte einen wütenden Unterton. »Ein Test war nötig. Ich musste wissen, ob ihr wirklich solch legendäre Assassinen seid, wie man es mir erzählte.« Korrbrin Kassiopeia spürte ihre Anwesenheit, er war erleichtert und drehte sich zu seiner Geliebten, die ihn wenig glücklich ansah. Ihm wurde klar, wie seltsam die Situation wirken musste. Er war nackt, eine Frau lag zu seinen Füßen. Er hielt eine Lichtwaffe auf sie gerichtet.
»Meine Geliebte …« Sie winkte lächelnd ab. »Ich hab dich schon bei schlimmeren Sachen erwischt. Es wäre gut, wenn du dir etwas anziehst, denk an die Fürstin, verstanden?« Dem Kommando seiner Geliebten leistete er Folge. Ihr Ton gefiel ihm nicht, aber er wusste, sie hatte recht. Der Fürst ließ die Drag aufstehen. Er zog sich an und sie gingen gemeinsam zum Aufzug. Jetzt galt es herauszufinden, was der Besuch eigentlich wollte. Auf dem Weg nach unten, wies er die verbliebenen Diener an, die Leichen wegzuräumen.
»… fünf Tabey, wenn Ihr den Auftrag erledigt.« Korrbrin Kassiopeia stockte der Atem. Was für niedere Völker oder Ungebildete nicht nach viel klang, war in Wirklichkeit eine geradezu pervers hohe Summe, die den Wert des ganzen Reiches überstieg. Bis er auf das Angebot reagieren konnte, verging fast eine Minute. Er sah zu seiner Geliebten, dann zu seiner Frau, froh dass die eine die Situation verstand. Ihr Rat war kostbar. Sie schloss die Augen und nickte zaghaft. Erleichtert blies Fürst Korrbrin Kassiopeia die Luft aus. »Gut. Was soll unser Clan für euch tun? Unsere Truppenstärke liegt bei etwa zweihunderttausend Kriegern, die es wert sind, so genannt zu werden. Das Zehnfache, wenn wir unser gesamtes Volk mobil machen.« »Ich will nur einen, den besten Assassinen eures Clans.« Der Auftrag, der dann folgte, schien geradezu lächerlich. »Einen Assassinen, um einen Dragofay zu töten?« Korrbrin blies langsam die Luft aus. Einen Dragofay zu töten, war für Bashardi möglich. Wenn er nur einen schicken konnte, war der Auftrag aber ein Problem. »Wo soll der zuschlagen?« »In Rubees. Ihr müsst wissen, dass …« Die Erklärung hallte noch lange in ihm nach. Die Frau verließ den Kristallturm. Den Auftrag hatte Korrbrin ohne Zögern angenommen. Das Angebot war zu gut. Auf einen Schlag konnte er das Vermögen des Kassiopeia-Clans vervielfachen. Seine Frau sah ihn fragend an. »Eine von uns soll allein gegen einen Dragofay bestehen können?«, fragte sie. »Das ist die Order.« Seine geliebte Seliistia kam hinzu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dann werde ich gehen, jemand Besseren gibt es nicht.« »Du kannst nicht gehen. Drag und Wasser, das kann nicht gut gehen. Es muss jemand sein, der die Schagarr beherrscht. »Dann gehe ich«, sagte seine Frau. Er sah seine Fürstin an und schüttelte den Kopf. »Es müssen immer zwei Kassiopeia da sein, die den Clan anführen. Ich will keine andere neben mir haben, bis du zurück bist. Unsere Kinder können wir vergessen. Unsere Töchter sind nicht viel mehr als Lustsklavinnen. Keine waren Kassiopeia Assassinen und schon gar keine Mörder für so einen Auftrag.« »Das ist ihr Schicksal.« Das ist wahr, dachte er.
Seine Geliebte setzte sich auf seinen Schoss. Sie küsste ihn. »Nicht viele Frauen unseres Volkes bekommen die Gelegenheit aufzusteigen, nicht viele aber …« Der Fürst stockte, ihm kam die Eine wieder in den Sinn. Die Eine, die er selbst vor dem Schicksal einer Fürsten-Tochter bewahrt hatte. Die Eine, die kein Reinblut war, für die es keine lohnende Partie gab. Die Tochter, die Chamenage beschützte, die, die seine Schwerter trug. »Ich weiß, wen wir schicken.« Er sah zu seiner Frau Kira, schweigend. »Ich ahne es«, flüsterte sie. »Willst du es für dich behalten, mein Geliebter?« »Ahh, Schatz wir schicken unsere Kcagi.« Die Fürstin tat ihrem Unmut kund.
»Eure Kriegerprinzessin? Nein, nicht sie, sie ist keine echte Kassiopeia, sie ist ein Bastard.« Der Kassiopeia Patriarch nahm seine Tochter in Schutz. »Sie ist gut, nicht eine Schlacht hat ihr Herr verloren.« »Hat sie nicht verloren, weil sie so gut ist? Oder weil Ihr sie beschützt?« Seliistia wurde zornig. »Du willst, dass meine Tochter dir beweist, was sie kann? Sie ist schnell, gut mit dem Bogen. Mit dem Schwert geradezu perfekt, dein Mann hat ihr die zwei Feuerklingen gegeben. Du weißt, Schwarzfeuer-Schwerter sind schwer zu kontrollieren. Ihr mangelt es nicht Magie.« Korrbrin untermauerte die Worte seiner Geliebten, froh darüber, dass sie derart von seinem Vorschlag überzeugt war. »Die Schagarr beherrscht sie hervorragend. Besser als die meisten Mitglieder der Geister Garde.« Kira Kassiopeia versuchte zu verhindern, dass Kcagi den Auftrag bekam. Für sie war die Aufgabe zu gefährlich. »Sie hat Talent, kein Zweifel. Sie hat sogar die Gabe, Wasser zu beherrschen, von euch geerbt. Jedoch ist sie höchstens guter Durchschnitt. Dragofay das sind immer zwei und unverschämt machtvoll.« Seliistia setzte sich vor der Fürstin auf den Boden. »Da magst du recht haben. Der Weg zu uns ist lang. Da hat sie genug Zeit, sich weiter zu entwickeln. Sie ist klug, du kannst ihrer Kraft vertrauen. Sie ist immer noch besser, als jemand Niederes zu schicken, oder? Versuchen wir es doch einfach.« Die Geliebte beugte sich hoch und küsste die Fürstin auf den Mund. Dabei flüsterte sie: »Für mich. Ich bitte dich. Ich werde dir ewig dankbar sein.« »Sie schafft das nicht«, hielt die Fürstin dagegen. Die beiden Frauen lösten sich voneinander. »Dann sehen wir es, wenn sie ankommt.« »Wie meinst du das? Willst sie testen, deine eigene Tochter?«» Ein Nicken und ein Lächeln waren alles, was die Geliebte des Fürsten von sich gab.
»Wie willst du sie testen?« »Warte es ab.« Die Geliebte lächelte. Es gab nicht viele Wege zum Glasknochen der großen Festung der Kassiopeia, nur einer davon galt als ungefährlich. Er führte entlang am Fluss der Klingen, an den ‚Zorn
von Kronos‘ wie ihn die Shanty nannten.
2
Wasser strömte über ihre Füße. Der Geruch von modrigem Holz, feuchter Erde und frischem Blut stieg ihr in die Nase. Das Erste, was sie sah, als sie die Augen mühsam öffnete, waren die eigenen grau-weißen Haare, die ihr nass und schmutzig ins Gesicht hingen. Sie rollte sich auf den Rücken. Schmerz durchzuckte ihren Leib. Kcagi fühlte sich kraftlos. Sie schaute in den gelben, wolkenverhangenen Himmel und erspähte dort eine flatternde Bewegung zwischen den Wolken. Ihre Glieder versteiften sich. Die Gestalt kam näher. Kcagi konnte die Kreatur ausmachen. Ein Drache mit Reiter - ein Dragas. Am Ende seines Schwanzes hing eine Flagge zur Erkennung. Sie zeigte das gleiche ungewöhnliche Symbol, wie es die Rahgay trugen, die ihren Trupp überfallen hatten. Eine schwarze Blüte auf rotem Grund. Ein Zeichen, das Kcagi seltsam bekannt vorkam. Sie konnte sich nur nicht mehr entsinnen, wo sie es schon einmal gesehen hatte. »Warum haben sie das Getan?«, fragte sie sich leise. Sie haben uns überfallen, obwohl niemand von unserem Weg und Ziel wissen konnte, und wir hatten nichts von Wert dabei.
Die Bashardi Prinzessin blieb wie tot liegen, bis der Dragas außer Sichtweite geflogen war. Mit zittrigen Händen tastete sie ihre Arme und Beine ab. Erleichtert blies sie die angehaltene Luft aus. Nichts war gebrochen, keine Schnitte. Nicht einmal Schrammen, nur Blutergüsse am Arm. Langsam stemmte sie sich hoch und warf das Haar nach hinten. Zaghaft sah sie sich um. Der Anblick versetzte ihr einen Stich ins Herz. Vier Meter stromabwärts lag eine vertraute Gestalt. Das einst so makellose weiße Fell war zerzaust und rötlich verfärbt. Die muskulöse Brust unbewegt. Ihr tapferes Reittier war tot, gestorben, weil es sie beschützte. Kcagi schleppte sich zu ihm, legte die Hand auf ihren hingebungsvollen Begleiter. »Finde Frieden in der Ewigkeit, mein treuer Freund, du hast mein Leben gerettet, ich danke dir«, flüsterte sie mit von Trauer gebrochener Stimme. Mit Tränen nahm sie Abschied. Das prächtige Tier war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Für seine Jüngste, seine Krieger-Prinzessin, wollte er etwas Besonderes, keinen schwarzsilbernen Hirsch wie bei den Bashardi üblich. Das Tier, das er ausgewählt hatte, hätten viele für eine Großkatze gehalten. Dabei war das Raubtier weit ungestümer und kämpferischer mit einem beispiellosen Gebiss. Ein weißer Beutellöwe, im Reich Tarak großgezogen, in der Hauptstadt Taraka erworben. Seine Wildheit und die berüchtigten knochenknackenden Kiefer verliehen ihm eine Gefährlichkeit, die ein Huftier nie erreichen würde. Kcagi streichelte über das Fell. Sie erfühlte dort einen Wundrand. Als sie überrascht die Hand zurückzog, klebte Blut an ihren Fingern. Sie strich das Fell beiseite. Ein tiefer Schnitt klaffte auf. Sie wich entsetzt von dem toten Tier zurück und wischte das Blut in den schwarzen Sand unter ihren Füßen. Die Vallinora-Prinzessin konnte den Leichnam nicht mehr ansehen. Zu viele ihrer Begleiter hatte sie in den vergangenen Stunden sterben sehen. Kcagi sah an sich herunter. Alles war dahin oder zerschnitten: Schmuck, Rüstzeug, Taschen, sogar die Unterkleidung. Wäre da nicht die frische Trauer gewesen, sie hätte gelacht. Es war surreal, wie in den kitschigen Liebesgeschichten, die ihre Schwestern so liebten. Die adlige Schiffbrüchige, die vom Schiff fiel und dann fast nackt ans Ufer gespült wurde, gerettet von einem holden gutaussehenden Edelmann. Kcagi konnte solche Geschichten nicht leiden. Als sie darüber nachdachte, kamen ihr andere Vorkommnisse in den Sinn, weitaus düsterere. Besorgt versuchte sie, ihre Sinne mittels Magie zu schärfen. Starke Kopfschmerzen waren die Antwort. Positiv war, dass der Schmerz ihre Müdigkeit hinwegfegte. Ihr wurde klar, etwas war mit ihr geschehen. Sie drehte sich hastig um und blickte in alle Richtungen. Niemand war in der Nähe. Es gab keine Spuren. Noch einmal schaute sie an sich herunter. Kcagi verstand nicht, was ihr passiert war. Klassische damenhafte Kleider trug sie selten. Was sie stattdessen trug, war eine stabile Siegelpapier-Rüstung und darunter das beste Leder, das man kaufen konnte. »Verdammt wo bin ich hier, was bei den Göttern ist …?« Ein lautes Krachen ließ sie zusammen zucken. Sie fuhr herum und griff an ihre Hüfte, ins Leere. Ihre Flammenschwerter waren ihr genommen worden. Kcagi ließ die Arme sinken und schaute beunruhigt ins fließende Nass. Ein Baumstamm trieb die Stromschnellen hinunter, schlug gegen etwas und drehte sich daraufhin. Jedes Mal, wenn der Stamm stoppte, wurde er kleiner. Es wirkte, als würden ihn Männer unter Wasser mit scharfen Äxten bearbeiten. Kcagi war eine Vallinora. Ihre Augen zählten zu den besten der Welt. Sie schärfte den Blick und schaute in das schäumende Wasser. Auf einmal verstand sie, wohin Kleidung und Rüstung verschwunden waren und begriff, was dem Beutelöwen widerfahren war. Das Ganze hier war ein Albtraum. Kein entschwundener Fremder würde ihr zu Hilfe eilen, keine kitschige Romanze entstehen. Niemand, der ihre Situation ausnutzte. Dafür gläserne Gebilde, Schneiden aus Kristall, die unter Wasser lauerten wie die Stacheln einer Panzerechse. Kcagi erkannte den Flusslauf. Seine Legende kannten fast alle Bashardi. In der alten Zeit schuf der Feuerstoß des Dragofay Kronos den Fluss der Klingen, den man von da ab auch Kronos´ Zorn nannte. Er war ein Nebenzweig des großen Schattenstroms, der durch Kcagi Heimat floss. Über Meilen bestand das Flussbett aus geschmolzenem Kristall, Drachenglas genannt. Ein wertvolles Material, so widerstandsfähig, dass es Äonen überdauerte. Der Strom war eine beispiellose Todesfalle. Was in ihn hinein fiel, wurde schlicht in Stücke geschnitten. »Wie habe ich das überlebt?« Der Beutelöwe war ein muskelbepackter Kämpe, ihm hätte man nur schwer etwas anhaben können. Kcagi war da anders: eine zarte Vallinora. Ihre weiße Haut war dünn. Starke Muskeln waren nichts, mit dem sich ihr Volk brüsten konnte. Gleichwohl war sie trotz aller Unzulänglichkeiten fast unverletzt, hatte nur die ominösen Blutergüsse am linken Arm. Als hochgeborene Bashardi wusste sie, ein solches Wunder konnte nur eine Quelle haben. »Die Schagarr, waren sie es?«, fragte sie sich. Kcagi konzentrierte sich, fasste die Bilder zusammen. Sie sah in ihren Gedanken, wie sie stürzte, ins Wasser fiel und die Augen schloss. Ihr Beutellöwe packt sie. Das Letzte, was sie vor der Ohnmacht sah, war, wie ihr Tier sie ans Ufer zog. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus. In dem Moment, als sie die Augen öffnete, war das dunkle Blau einer schwarzen liedlosen Iris gewichen, aus deren Zentrum ein Licht glomm. Was sie um sich herum sah, hatte sich verwandelt. Die Farben schwanden zu Grautönen. Die Welt, die sie umgab, war wie ein Schwarzweißbild, an dem hier und da mit Grafitstift nachgeholfen wurde. Ihre Umgebung schaute genau so leer aus wie zuvor. »Bei der Mutter, das darf nicht sein! Sie sind nicht da.« Kcagi suchte Schattengebilde, die sich um sich selbst drehten, winzige Wesenheiten, die man gemeinhin Wildgeister oder Schagarr nannte. Ohne ihren Beistand fühlte sie sich furchtbar verletzlich. Ihre Kampfmagie wirkte nur im Verbund mit diesen Geschöpfen. Ohne sie war sie nahezu schutzlos. Ohne Magie, Waffen und Begleiter war sie nur eine verwundbare, fast nackte Frau in der Wildnis. Für Kcagi war das eine Katastrophe. Ohne ihre Begleiter, ohne den Beutelöwen und ohne den Beistand der Schagarr war nicht nur das Überleben ein Problem. Der Rückweg nach Hause rückte in weite Ferne. Das Land der Kassiopeia war kein Paradies. Es gab etliche Schrecken, die dort lauerten. Manche waren von Natur aus dort, andere hatte ihre Familie dorthin verfrachtet. Doch selbst das war nicht das Schlimmste. Der Glasknochen, das riesige Dämonenschwert, das den Kassiopeia als Residenz diente, war umgeben von einem weißen Wald. Die Schönheit war trügerisch, die Bäume waren tödlich, ihre tief reichenden Wurzeln entzogen dem Landalles Wasser. Für Kcagi hieß dies, sie musste ihre Kräfte zurückgewinnen oder jemanden finden, der sie nach Hause brachte. Sonst blieb ihr nur eines: Sie musste überleben und Schritt für Schritt die extrem gefährliche Heimreise vorbereiten. Ein letzter hoffnungsvoller Blick, und sie schloss die Augen. Eine geistlose Welt zu sehen, brachte sie nicht weiter. Als sie ihre Hand hob, wurde es noch schlimmer. Die zuvor unsichtbaren Tätowierungen glommen in hellem Blau. Sie strahlten sie geradezu an. Kcagi drehte sich und betrachtet ihren Körper. Licht brach unter der Haut hervor, weiß, blau und rot, verzögert trat die Wirkung der erloschenen Magie ein. Auf einen Schlag schien die Temperatur um zwanzig Grad zu fallen. »Sie sind leer, meine Zauber, meine Implantate, sie sind alle leer.«
Ihre Hände zitterten. Sie sog die Luft tief ein. Leise, mit hinfälliger Stimme flüstere sie. »Zerbia Form 1, Histika Form 3, Zerbia Form 2, Wenija Form 2, Form 3.« Was für andere verrückt klang, war eine meditative AssassinenMethode, die Kcagi half, sich zu beruhigen. Sie spielte in ihren Gedanken einen Kampf gegen einen imaginären Gegner durch, bis sie sich wieder gefangen hatte. Mit neuer Zuversicht ballte die Vallinora ihre Hände zu Fäusten. Sie suchte das Flussufer ab und hoffte auf etwas Nützliches. Auf Waffen, Satteltaschen mit Vorräten oder die Reste der kostbaren Schagarr Waffen. Sie fand nichts dergleichen. Erschöpft und enttäuscht lief sie mit unbeholfenen Schritten vom Ufer weg. Ihre nackten Füße glitten dabei mehrfach auf dem matschigen Untergrund aus. Unter einer dünnen Schicht dunkelblauen Schlamms verbarg sich das Drachenglas. Kcagi kam nur langsam voran. Kaum bekleidet und schrecklich erschöpft, wollte sie jede weitere Verletzung vermeiden. Die Augen fest auf den Boden gerichtet, schritt sie auf den freien Glasflächen, die unter dem Schmutz hervortraten. Dort fanden ihre Füße etwas mehr Halt. Der schwarzblaue Sand geriet unter ihrem Gewicht allzu leicht ins Rutschen. Nach einer Weile ging das Flussufer endlich in festen Untergrund mit Büschen und kleinen Bäumen über. Kcagi griff ein Bund besonders großer Blätter und legte sie vor sich auf den Boden. Dann bewegte sie ihre Finger auf und ab, ballte die Hände wieder und wieder zu Fäusten, um eine Flüssigkeit aus ihren Armen zu pumpen. Sie legte die Pflanzenblätter um Brust und Hüfte, zuckte, als das kalte Grün ihrer Haut berührte. Die Blätter verband sie mit dem Sekret, das aus ihren Händen tropfte. Die rosa Masse besaß eine klebrige Konsistenz, die mit jedem Moment fester und dunkler wurde. Kcagi kämpfte sich durch das Gestrüpp. Nach einer Weilegelangte sie auf einen ausgetretenen Pfad, dem sie landeinwärts folgte. Sie suchte nach Hilfe, hoffte, Verbündete zu finden, am liebsten Angehörige ihres Volkes. Der Weg beschritt eine Kurve. Eine Lichtung breitete sich vor ihr aus, auf den ersten Blick erkannte sie, dass es keine natürliche war. Die Bäume waren gerodet, der Boden freigebrannt. Ihre Schritte wurden schneller. Kcagi entdeckte Häuser. Unvermittelt blieb sie stehen. Die Siedlung war einfach, fast schon primitiv. Die Holzhäuser standen auf Pfählen und waren vermutlich in wenigen Wochen erbaut. Die Hoffnung auf Hilfe starb rasch, denn die Niederlassung war verlassen. Nicht nur das, über allem schwebte der Gestank des Todes. Ein metallischer Geruch lag in der Luft, es roch nach Blut. Kcagi konnte die Spuren im schlammigen Boden lesen. Sie sprachen eine deutliche Sprache. Der Überfall konnte nur wenige Tage her sein. Abdrücke im Boden, zerschmettertes Geschirr, in den Schmutz getretene Kleidung, verstreute Vorräte und das Blut ließen nur diesen einen Schluss zu. Kcagi bog ihre rechte Hand nach außen. Schmerz brannte sich wie eine heiße Klinge durch ihren Arm und sie biss die Zähne zusammen. Eine funkelnde schwarze Klinge brach aus dem Handgelenk. In ihrer Schulter bewegte es sich. Ein Insekt, ein nützlicher Parasit, kämpfte sich aus ihrem Rücken hervor. Wanderte dann auf ihre linke Schulter und krallte sich in die Haut. Kcagi leckte über die Klinge an ihrem Arm. Ein bläulicher Schleim blieb dort haften. Selbst wenn ihre Magie verloren war, hatte die Krieger-Prinzessin immer noch den ein oder anderen Trumpf in der Hinterhand. In der Mitte der Siedlung stand ein Holzgestell, darunter entdeckte sie das Schimmern von frischer Holzkohle. Kcagi beugte sich hinunter und hob ein Stückchen Kohle hoch. Es war kühl, aber noch hart und trocken. »Drei Tage, dann fiel der letzte Regen, soweit ich mich erinnere.« Das Spurenlesen lehrte sie ihr Vater, dessen Beistand ihr in dieser Situation ganz besonders fehlte. Die Häuser um sie herum standen kreisförmig angeordnet. Kcagi machte sich die Entscheidung leicht. Sie entschied sich für das Gebäude, das keine Tür besaß. Die Treppe war ausgetreten, zwei Stufen zerbrochen. Vorsichtig wagte sie den Aufstieg.
Die Tür war aus der Verankerung gerissen worden, dahinter erstreckte sich ein großer Raum. Zerwühlte Decken, Getreide, Nüsse, alles lag auf dem Boden verteilt. Zuerst wollte sie nach jemandem rufen, um doch noch jemanden finden, der ihr half und ihr alles erklärte. Was so ll ich tun? Hilfe rufen? Besser nicht, denn wenn hier jemand überlebt hätte, würde es anders aussehen.
Kcagi beschloss, erst einmal weiter zu suchen. Am Boden fand sie zwei Fetzen aus grob gesponnener weißer Wolle. Sie ließ die Blätter fallen. Notdürftig band sieden weichen Stoff um Brust und Taille. Sie war nicht schüchtern, doch das hier schien kein Ort zu sein, wo sie zu viel von sich zeigen sollte. Sie ließ das vorderste Gebäude hinter sich. Im Vorbeigehen nahm sie eine graue Decke von einer tief hängenden Wäscheleine. Kcagi hoffte, das Haupthaus würde ihr mehr verraten. Für die Bewohner stellte es den Mittelpunkt der kleinen Siedlung dar, erbaut um eine Eisenkastanie. Der Baum stützte das Gebäude nicht nur, er war auch sein Zentrum. Der Stamm ragte aus dem Dach empor. Darüber spross die riesige dunkelrote Baumkrone. Die Pflanzen waren Exoten. Kcagi kannte die Gewächse gut. Ihre Familie führte sie ein. Die Früchte eines Baumes konnten eine Großfamilie mit Kohlehydraten, ein Dorf mit Mineralien, insbesondere Eisen, versorgen. Kcagi vermutete, dass dieses Gebäude dem Anführer gehörte. Vor dem Eintritt bemerkte sie die schrägen, bogenförmig angeordneten Dächer und den Sinn dahinter. Die Dachspitzen endeten in einer Röhre aus Holz. Diese leitete jede abfallende Kastanie in eine Sammeltonne. Mit einem kurzen Blick stellte sie fest, dass das Fass ausgeräumt war. Sie stieg die Stufen zum Haupthaus empor. Die Tür konnte sie leicht nach außen ziehen, sie war von innen aufgebrochen, wie sie verwundert feststellte. Sie lief hinein, vorsichtig und langsam. Das Innere war verwüstet und schien, als habe ein Sturm darin gewütet. Alle Stoffe, ob Decken, Kleidung oder Teppiche, waren zerfetzt, die Möbel umgestoßen, teilweise zertrümmert. Lebensmittel lagen zwischen Spielzeugen, Werkzeugen und vertrockneten Pflanzen. Kcagi fand ein paar Schnüre, dank derer sie ihre notdürftige Bekleidung besser fixieren konnte. Den kümmerlichen Rest eines Tuches nahm sie, um das silberweiße Haar erst mal nach hinten zu binden. Sie musste mehr finden. Die Nacht war kühl in diesen Landen, und Magie stand ihr nicht länger zur Verfügung. Kcagi benötigte ein Feuer, ein sicheres Nachtlager und Wasser, das sie ohne Bedenken erreichen und trinken konnte. Als Tochter eines Herrschers reiste sie nie ohne Schutz. Ihre Krieger und die Magie waren ständige Begleiter, doch beides fehlte nun. Sie brauchte ein Werkzeug, um ein Feuer zu entzünden. Die Suche gestaltete sich schwierig. Ein roter Schnipsel erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hob ihn auf und stellte fest, wie klebrig er war. Aus Reflex schaute sie hoch. Das Holzdach schien noch in Ordnung. Sie verwarf diese Sorge. Kcagi untersuchte Dutzende Stofffetzen, deren Ränder sie immer ausgefranst, teils löchrig vorfand. Das erinnerte sie an ein Erlebnis in ihrer Kindheit, die Zeit, in der ihre Halbschwester noch zu Hause wohnte.
Meine Schwester besaß dieses Vieh, wie hieß es noch? Egal, der verkümmerten Wolfshund , der unsere Klamotten stahl, sie voll sabberte und zerriss und dann so traurig schaute. Ist das eine Möglichkeit, die die Sache er klärte? Könnte ein Tier das getan haben? In ein Gebäude einsteigen, um dort alle Kleidung zu zerkauen?
Kcagi stellte diese Frage erst einmal hintenan. Sie durchsuchte weiter das Gebäude. Fenster besaß das Haus keine, nur die Eingangstür. Ein kurzer Blick durch die Tür und sie sah, wie weit das Licht bereits abgenommen hatte. Sie wurde panisch. Hektisch begann sie, den Boden abzusuchen, warf die Möbel grob zur Seite. In dem Zimmer war wenig Nützliches zu finden. Den einzigen Fund stellte das große weiße Raubkatzenfell dar, das als Wanddekoration diente. Man hatte es mit Nägeln aus Kupfer befestigt. Kcagi stemmte sich mit aller Kraft gegen die Wand, drückte sich mit den Füßen ab und zerrte daran. Das war ein Fehler, den sie gleich mehrfach bereute. Das Fell riss, sie stürzte nach hinten. Gleichzeitig brach ihr linker Fuß durch das Holz. Hart schlug sie auf. Staub, vernebelte die Luft. Kcagi hustete und zog ihr Bein zurück. Ein paar Schrammen, aber sonst war sie glücklicherweise unversehrt. Das andere Bein tat ihr bei weitem mehr weh. Zuerst war es ein Stechen, das in ein dumpfes Pochen überging. Sie zog das Bein zu sich, inspizierte die Quelle. Kcagi fand etwas, das ihr doch nützlich sein mochte. Eine Drachenglasnadel, die Seiten scharf zugeschliffen, um Leder zu nähen. Sie steckte tief in ihrem Fuß. Vorsichtig befreite sie sich von dem Eindringling und legte ihn behutsam zur Seite. Eine Infektion hätte sie lahmlegen können. Sie beschloss, die Wunde provisorisch zu behandeln. Den Fuß verband sie mit einem dünnen Stoffband, nachdem sie ein wenig ihres giftigen Speichels darauf geschmiert hatte, um die Wunde zu betäuben. Das Fell bekam sie herunter, nur die Nägel blieben in der Wand zurück. Sie drehte es um. Mit den Haaren nach außen benutzte sie es als Tragetasche. Sie beeilte sich, packte ihre Ausbeute ein, schnürte das Bündel und warf es sich über die Schulter. Kcagi ging in die Knie, ein Gedanke zog sie nach unten. Ihr, für die Ewigkeit bestimmtes Leben würde hier enden, allein mitten im Nirgendwo. Diese Vorstellung ließ sie die Zähne zusammenbeißen. Sie war nicht irgendwer.
»Ich bin Kcagi Kassiopeia, ich werde hier nicht krepieren. Ich komme nach Hause, zu meinem Vater!«
Kcagi Info - Tätowier ungen: Feuer Schutz: Hemmt den Schaden , der durch Hitze verursacht wird , erlaubt es, kochende s Wasser anzufassen. Kälteschutz: S chwacher Schutz gegen Kälte beim Baden. Schlagschutz: Hemmt den Schaden sowie den Schmerz , den Schläge verursachen Blitz Schutz: Hemmt die Wirkung von Blitzen. Magieschutz: Magische A ngriffe aller Art werden geschwächt. Kcagis Suche förderte nicht das zutage, was sie erhofft hatte. Die anderen Häuser waren schwerer geplündert. Ein paar Vorräte konnte sie bergen, darunter trockene Früchte, Dörrfleisch und etwas Stockfisch. Ein intaktes Leinentuch und eine angebrochene Schüssel packte sie ebenfalls ein. Ansonsten war nichts darunter, mit dem man ein Feuer entzünden konnte. Das war ein großes Problem. Die Bashardi versuchte zuerst, Stöcke aneinander zu reiben. Was nicht vielmehr als schmerzende Hände zur Folge hatte. Werkzeuge aus Metall waren ihre nächste Idee. Sie sägte mit einer kleinen Metallsäge in einen rostigen Hammer. Kcagi hoffte, mit den glühenden Spänen trockenes Gras entzünden zu können. Keine Funken flogen, nur eine stumpfe Säge und ein zerfurchter Hammer blieben zurück. Genervt gönnte sie sich Ruhe und aß von den getrockneten Früchten. Der süße Geschmack blieb aus, den sie erwartete.
Das Obst war bitter und sauer zugleich. Völlig ohne Genuss schlang sie es herunter. Gestärkt versuchte sie eine weitere Methode, um Feuer zu entfachen. Ihr Vater hatte mit ihr einige Reisen unternommen und dabei auch einmal ohne Magie oder Feuereisen ein Lagerfeuer entzündet. Kcagi suchte eine Weile, um alles zusammen zu bekommen. Eine Schnur, biegbares Holz, ein Handstück und ein festes Brett als Unterlage. In kurzer Zeit fertigte sie einen Feuerbogen. Sie zog den Bogen hin und her. Das eingespannte Holz dazwischen rotierte. Ein Astloch diente ihr zur Orientierung. Ein paar Minuten ließ sie den Stock drehen, bis Rauch aufstieg. Kcagi ließ los, griff das Holzbrett, schüttete den Abrieb, in ein Geflecht aus trockenem Gras, hob es hoch und blies hinein. Es geschah nichts. Es gab keinen Rauch und es roch nicht einmal verbrannt. Sie ließ das Bündel fallen und nahm den Bogen erneut zu Hand. »Das kann doch so schwer nicht …« Sie zuckte zusammen. Ein Grollen, laut und durchdringend durchschnitt die Stille. Derart bedrohlich, dass es sie schauderte. Die feinen weißen Härchen an Armen und Beinen stellten sich auf. Ihr Puls raste. Ihr Herz hämmerte wie wild. Was immer es war, ihr Körper reagierte instinktiv darauf. Die Vallinora galten als ein naturverbundenes Volk. Einige waren das tatsächlich. Für die Bashardi galt das nicht. Das glaubte Kcagi zumindest bis jetzt. Sie hatte Angst. Als dieses beängstigende Brüllen das zweite Mal erklang, begannen ihre Arme und Beine zu zittern. Sie sprang hoch und schaute umher. Sie hob den alten Hammer auf, warf sich Decken und Fellbeutel über und lief los. Kcagi stolperte über ein Brett am Boden und erkannte, dass es ein Teil einer fehlenden Tür war. Der Blick auf den Stoffverband an ihren Fuß rief die Erinnerung wach: Wenn sie unabsichtlich die Wand eintreten konnte, war es für was immer da so laut brüllte ein Leichtes, es ihr gleich zu tun. Kcagi ließ die Siedlung hinter sich. Ihr Puls wurde langsamer. Ihr Körper entspannte sich. Ihre Instinkte schlugen nicht mehr Alarm. Sie schien richtig zu handeln.
Wohin sie laufen sollte, wusste sie nicht. Kcagi irrte umher und wurde dabei wieder panischer. »Pastrall Form 1, Form 3, Emikon Form 3, Histika Form 2, Lukiya Form 3.« Sie atmete langsamer, beruhigte sich und schloss einen Moment die Augen. Ihr Gehör und ihre Füße fanden auch so den Weg. Als sie sie wieder öffnete, fand sie nicht weit entfernt eine Spur. Sie erkannte einen Pfad im weißen Gras. Er war mit Stöcken an den Seiten ausgelegt. Vertrocknete Blumen und Steine waren auch dabei. Jemand hatte hier eine Spur gelegt. An manchen Stellen leuchtete der Boden. Schwach, dennoch war es so leichter, dem Pfad zu folgen. Je mehr sich die Augen an die Finsternis gewöhnten, umso schneller lief Kcagi. Am Ende rannte sie. Die Leuchtspur wurde unnötig. Die Nachtsicht einer Vallinora war gut. Sie entdeckte einen großen Hügel zwischen den Bäumen. Hier endete die Spur. Für einen Moment schien es unlogisch. »Was sollte das? Warum führt die Spur hierher? Hier ist doch nichts. Soll ich zurück?« Kcagi lief mehrmals um den Hügel herum. Der Wind blies, die Luft war eisig. Gerade als sie anfing, eine Falle zu fürchten, sah sie versteckt hinter Büschen einen kleinen Spalt, aus dem ein schwacher Schimmer fiel. Kcagi berührte die Pflanzen, die Blätter fielen völlig vertrocknet zu Boden. Die Vallinora beugte sich herunter, legte sich lang auf den Boden und blickte unter das Gestrüpp. Sie fand eine Mauer, dann eine breite Öffnung. Sie schaute neugierig hinein, wieder sah das Leuchten. »Eine versteckte Höhle?« Sie lauschte dem Echo ihrer Stimme und schob den Strauch beiseite. Hinter dem vertrockneten Geäst verbarg sich der kaum drei Hand hohe und breite Eingang. Bei genauer Betrachtung bestätigte die seltsame Öffnung eine Vermutung, dass das alles hier keinen natürlichen Ursprung hatte. An den Seiten sah sie Steinplatten mit Lehm dazwischen, aufgeschichtet zu einer dicken Mauer. Warum machte man den Eingang mit so viel Mühe schmaler? Die Erklärung brauchte eine Weile. Dann zog sie den Zusammenhang aus dem Weg, der leuchtender Spur und der Höhle selbst.
Kinder? So muss es sein. Im Dorf gab es Kinder. Für sie hat man diese Spur gelegt. Das Leuchten hat mich hergeführt. Das Leuc hten hat mich …
Kcagi befehligte Armeen, eroberte Städte. Die Kinder zu schützten, war wichtig. Sie waren nicht selten die ersten Opfer oder das effektivste Druckmittel. Das Leuchten sagte ihr eines: Man fürchtete keine feindlichen Krieger, Plünderer oder Ähnliches. Hier hatte man Angst vor der Natur selbst. Die Bewohner der Siedlung gewannen in Kcagis Augen an Anerkennung, weil sie viel Mühe aufwanden, um ihre Nachkommen zu schützen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es jetzt sie rettete. Das Gebrüll ließ sie wieder zusammen zucken. Kcagi stopfte die Decken durch die Öffnung und warf den angesägten Hammer hinein. Sie selbst schob sich in Rückenlage durch den Eingang, so war es für sie einfacher, hinein zu gelangen. Die Schagarr Vallinora zog die Luft ein, glitt behände in die Höhle. Zuerst umfing sie Finsternis. Kcagi hielt den Weg über ein Auge geschlossen, nun wechselte sie die Seite. Das änderte viel, sie konnte auf einmal viel besser sehen. Das geschlossene Auge gewöhnte sich an die Finsternis. Das, kombiniert mit ihrer Nachsicht, machte die Höhle taghell. Die Höhle war groß, die Wände glatt. Der Boden trocken und zu großen Teilen mit dickem Leder ausgelegt. Es duftete nach Essen, frischer Luft und heißem Wasser. Kcagi folgte dem Gang nach hinten. Ein schwaches geisterhaftes Licht wurde sichtbar. Auf einmal öffnete sich die Höhle in einen breiten, hell erleuchteten Gang. Die Luft war feucht, gerade zu heiß. Wasser sprudelte aus dem Boden in ein großes Becken. Der Überschuss floss in eine Rinne, die nach hinten führte. Die Höhlendecke war ein Meer aus schimmernden weißen Lichtern. Kristalle wuchsen dort, glommen in einem fahlen Licht. Kcagi dachte an einen Sternenhimmel, dann daran, dass es draußen keine Sterne gab. Kcagi schaute nach unten auf das Nass. Sie steckte die Hand hinein, spürte das heiße Wasser und kostete es.
Es war bitter und salzig, die meisten Völker konnten sowas nicht trinken. Kcagi trank hastig mehrere Hände voll. Für die Vallinora war selbst salziges Wasser trinkbar. Die Vorräte hier drinnen bestanden aus nicht viel mehr als einem Beutel Nüssen und die wohl bekannten Früchte, aufgefädelt an Schnüren. Die Bashardi blieb dicht bei dem warmen Nass, legte die Leinendecke aus und schmiegte sich in das Fell. Die Augen fest auf das Wasser gerichtet, versuchte sie, zur Ruhe zu kommen. Draußen, schallte noch immer das Gebrüll. Das Zittern verschwand nicht, so sehr sie sich auch bemühte. Angst und Erschöpfung hielten sie noch für Stunden wach.
Chamenage drehte sich mühsam auf den Rücken. Er schaute nach oben, zum Rand des Tals. Er war schwer verletzt, Hunderte schmerzende Schnitte verschandelten seinen Panzer, Gliedmaßen fehlten ihm etliche. Er war seiner Kampfkraft und der Basis seiner Mobilität beraubt. Dutzende Beine trennte ihm der Fluss mit den heimtückischen Klingen ab. Er blickte auf den Stumpf, der mal einer seiner rechten Arme gewesen war. Das alles schmerzte ihn, doch nichts war so schlimm wie das Gefühl, versagt zu haben. Versagt darin, die zu beschützen, für die er geschworen hatte, sein Leben zu geben, wenn dies nötig sei. Das Einzige, was ihm zu guter Letzt gelungen war, hatte darin bestanden, die Schätze der Kassiopeia zu retten. Dafür bezahlte er mit dem Sturz in den Fluss der Klingen. Ein Fluss zu durchschwimmen, war für ihn ein Leichtes. Vier Arme, den Unterleib eines Hundertfüßers, beides zusammen gab ihm unglaubliche Mobilität. Mit nur einem Bruchteil davon wurde daraus eine Anstrengung ohne gleichen. Er atmete schwer, immer noch erschöpft, aber glücklich, die Klingen fassen zu können, um es dann irgendwie ans Ufer zu schaffen. Der Tag schwand, die Finsternis würde nicht mehr lange benötigen, um alles zu überziehen. Kcagi brauchte ihn, das wusste er, doch jeder Versuch aufzustehen und los zu eilen erwies sich als Fehlschlag. Mit dem verbliebenen Arm berührte er die Hüfte, er fühlte die Rune. Eine mühsame Drehung, und er konnte sie sehen. Die leuchtende Glyphe verband ihn mit ihrer Lebenskraft. Erst wenn sie starb, würde dieser mächtige Zauber verschwinden. Die Magie barg noch mehr. Er nahm durch sie auch wahr, wie sich seine Prinzessin fühlte. Er spürte die Angst, die Schwäche, die Hilflosigkeit. Vom Tage ihrer Geburt an wachte Chamenage über sie. Bewahrte die Kleine vor jedem Schaden. Ein halbes Dutzend unliebsamer Verehrer hatte er beseitigt. Nun musste der Bharagas zu ihr zurück, ihr beistehen, sie zu ihrem Vater, ihrer Heimat, dem Glasknochen zurückbringen. Wie eine Schlange zu kriechen, war eine Demütigung ohne Gleichen, doch so kam er vorwärts, wenn auch nicht ansatzweise so schnell, wie er sich das wünschte. »Ich muss heilen. Ich muss heilen. Ich … muss …«, zischte er auf der Suche nach einem hohen stabilen Baum. In dieser Gegend wollte er nicht wehrlos am Boden liegen. Es gab wenige, die ihn fressen würden. Trotz allem konnte er Raubsaurier und Aasdrachen, nicht ausschließen. Mit Hass dachte er an diese Kreaturen. Diese Scheusale hatten seine Mutter verschlungen, als sie selbst im Heilschlaf lag. Chamenage kroch weiter auf
dem Untergrund, bis er einen Baum erreichte, der ihm den erhofften Schutz bot. Hoch genug über dem Boden, dass keiner von dort an ihn heranreichte, dennoch nicht so hoch dass er wie auf dem Präsentierteller saß. Der Baum bot genug Laub und lange Äste, so dass ihn kein fliegender Räuber aus der Luft ergreifen konnte. Er zog sich mit dem verbliebenen Arm empor. Die kraftraubende Tätigkeit brauchte eine Ewigkeit. Er konnte es selbst kaum fassen, als sich helllichter Tag in beginnende Nacht wandelte, bevor er oben angelangte. Er wickelte sich mit seinem eigenen Unterleib ein. Eine Flüssigkeit quoll aus Poren zwischen dem Panzer hindurch. Sie reagierte mit der Luft, ein Schaum entstand, tropfte über ihn, härtete aus. Das letzte Licht fiel durch die schützende Kruste. Der Körper erschlaffte. Er war nicht mehr in Lage, sich zu rühren. Die Heilung würde dauern. Bis er wieder erwachte, konnte eine lange Zeit vergehen. Seine Gedanken galten Prinzessin Kcagi Kassiopeia. Die Schwerter, die sie so sehr liebte, hielt er fest umklammert. Durch den Kokon hörte er das Gebrüll, gedämpft und stark abgeschwächt, doch auch seine Instinkte schlugen Alarm, als eine Urangst in ihm erwachte. Sein eingesponnener Leib begann vor Angst zu zucken. Seine Innereien verkrampften sich. Chamenages Hand wanderte unendlich langsam nach unten. Mit einem Krallen bewährten Finger, berührte er die Rune. Kcagi litt noch mehr als er. Er fühlte ihre Angst, wie sie mit jedem Aufbrüllen anwuchs. Sein Herz schmerzte wie selten zuvor. In seinem Zustand konnte er nichts mehr tun. Zorn wuchs in ihm heran. Er spürte, wie sein Element erwachte, fühlte, wie Blitze um ihn knisterten, die Spannung stieg an. Kcagi zu beschützten, war der einzige Gedanke, der blieb, als er in den Heilschlaf verfiel.
Kcagi Info - Nordika:
Die Fähigkeit , den eigenen Körper zusätzlich zu verstärken und dafür magische Energie zu nutzten. Sie nutzt diese Kunst ebenfalls für ihre Schwertkunst. Ihre Schlagkraft ist dabei gewaltig.
3
Das Schimmern eines reflektierenden Kristalls blendete Kcagi. Die Lichtflut schien durch einen Spalt in der Wand, direkt in ihr Gesicht. Sie blinzelte den Schlaf weg. Ihr Rücken schmerzte, die Gelenke fühlten sich steif an. Vorsichtig auf die Umgebung achtend, glitt Kcagi durch die Öffnung. An dem Licht draußen konnte die Bashardi die Mittagszeit ablesen. Sie lief zurück in die Siedlung. Von dort erhoffte sie, die letzten Vorräte bergen zu können, Aber richtige Waffen zu finden hatte höchste Priorität. Während sie lief, sah sie auf ihre Brust hinunter. Die sechs Implantate leuchteten noch immer. Die Tätowierungen waren verschwunden. Langsam regenerierte ihre magische Kraft. Das Bedeutete einen Fortschritt, die Kälte könnte ihr nun weniger anhaben. Ein Umstand, der Kcagi das erste mal wieder lächeln ließ. Das Dorf war verlassen wie zuvor. Bei ihrer Suche ging die Schagarr-Vallinora gründlicher vor. Im Haupthaus stellte sie alles wortwörtlich auf den Kopf. Für sie war es nicht das erste Mal, dass sie ein Wohnhaus durchsuchte. Kcagi hatte eine gewisse Routine als Söldnerin gelernt. Nachdem die Schrecken des Vortages verblasst waren, konnte sie sich wieder darauf besinnen. Erfahrung und ihr Instinkt sagten ihr, dass man in der Siedlung etwas verbarg. Jetzt blieb die Frage, wo und was. Diesmal nahm sie sich mehr Zeit. Die Spuren auf dem Boden konnte man deutlicher sehen. Kcagi erkannte Dutzende Anzeichen für Gewalt, darunter allerdings nichts, das auf Täter oder Opfer schließen ließ. Das erfüllte sie mit zunehmender Sorge. Sie fürchtete nicht nur die Kreatur, sondern auch die, die Siedlung überfallen hatten. Ihre ersten Gedanken konnte sie ausschließen: Tiere waren es nicht gewesen. Mit einer Hand berührte sie einen Fußabdruck. Der Schlamm von draußen ließ den einen Stiefelabdruck zurück. War er vom Täter oder vom Opfer? Das konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Draußen fand sie einen Zweiten. Die Tiefe und Größe verriet ihr mehr. Es war ein Mann, auffällig schwer. Kcagi vermutete einen Krieger in Rüstung. Sie behielt die neuen Informationen im Hinterkopf. Im zweiten Haus ging Kcagi ebenfalls taktisch vor, sie schob einen massiven Tisch vor den Ausgang. Ein Angreifer oder gar eine Gruppe hätte das Hindernis lange genug beschäftigt, damit sie darauf reagieren konnte. Während des Kraftaktes entdeckte sie dunklen Stoff, der das Holz darunter bedeckte. Dickes schwarzes Leder war dort festgenagelt. Sie tastete es ab. An einer Stelle fühlte Kcagi, wie der Boden nachgab. Klüger als das letzte Mal nahm sie eine verformte Metallplatte, um die Nägel vorsichtig heraus zu hebeln. Sie schlug die Abdeckung beiseite. Darunter fand sie Bretter, wie überall im Haus. Kcagi rüttelte an ihnen, drückte dagegen, keines gab nach, egal wie sehr sie es versuchte. »Dekoration. Mehr nicht.« Ihr blieb das Leder. Das Stück war ideal zum Schneidern von Beinkleidern. Diese Idee wollte sie umsetzen. Eine Schere und ein Paar Nieten fand sie in dem Durcheinander ebenso wie Schnüre. Sie schritt nach hinten in eine Ecke. Ein Brett gab nach. Deutlich hörte sie, wie ein Mechanismus ratterte. Die Wand schwang auf. Ein Bündel Wurfspeere kam zum Vorschein. Es wies in Kcagis Richtung. Ein Klicken und der erste Speer schoss auf sie zu. Kcagi war keine Waldläuferin, vom Feuer machen, jagen, dem Überleben in der Wildnis allgemein verstand sie wenig. Sie war eine Assassine, das rettete ihr das Leben. Sie reagierte reflexartig, drehte ihren Körper, knapp unter dem Schaft weg. Ihre Hand schoss hoch und fing das Ende des Speeres. Sie wirbelte die Waffe herum. Das nächste Klicken kam. Ein Wurfspeer schlug in die Wand. Längst befand sich Kcagi außerhalb der Schussbahn. Dem dritten Speer musste sie nicht entgehen. Sie zog ihn aus der Apparatur, bevor der Abzug auslöste. »Verschießt alle auf einmal. Anfänger.« Triumphierend hielt sie den Speer hoch. Diese unerwartete Ablenkung tat Kcagi gut. Es stärkte ihr wusstsein und, was man auf sie verfeuerte, waren gute Waffen. Der Speer in ihrer Hand endete in einer Klinge aus Kristall, das typische Schimmern verriet ihr, dass es Drachenglas war. Die anderen hatten Spitzen aus Muschelschalen. Brüchig zwar, aber scharf geschliffen und härter als die meisten Metalle. Die Vallinora-Prinzessin sah sich die Apparatur genauer an. Das Konstrukt war beweglich und wohl nicht als reine Falle gedacht. Es war eine Abschussvorrichtung, die man auf einen ungebetenen Besucher schwenken konnte. Kcagi richtete sie auf die Tür. Um zu sehen, wie gut das funktionierte. Während sie das tat, rastete die Apparatur ein, wurde unbeweglich. Durch das Wegdrehen wurde ein langer, gebogener Stiel sichtbar. Sie zog ihn aus der Wand. Es waren zwei leichte Äxte mit zwei Klingen und einem Dorn an der Spitze. Die Griffe aus gehärtetem Knochen, kunstvoll dekoriert und augenscheinlich Ornamente, die Tiere und Städte zeigen. So etwas hatte Kcagi nie zuvor gesehen. »Leider ein kaum würdiger Ersatz für meine SchwarzfeuerSchwerter, oder meine Schagarr Waffen. Aber es muss reichen.« Kcagi hörte das Echo ihrer eignen Stimme nachhallen. Für einen Moment kam sie sich dumm vor. Selbstgespräche zu führen, war gar nicht ihre Art. Sie fokussierte sich auf die Ausbeute. Die Wand hielt noch mehr verborgen. Sie fand einen Beutel. Zuerst dachte die SchagarrAssassine, es sei Geld darin. In ihrer Situation wenig nützlich. Als sie den Beutel öffnete, kam etwas anderes zum Vorschein. Pfeilspitzen, nicht breit, mit Haken für die Jagd. Diese hier waren nadelspitz. Geschaffen, um Rüstungen zu durchdringen. Beim genauen Hinsehen erkannte sie das Hinterhältige. Die Spitzen hatten vier seitlich angelegte Klingen, schwach mit der Sporn verschmolzen. Traf dieser Pfeil sein Ziel, drang er tief ein und die teuflischen Widerhaken richteten sich auf. Zog man den Pfeil heraus, riss er die Wunde auf. Kcagi gaben diese Spitzen eine wichtige Information. Vallinora hatten sie gefertigt, leider war es nicht ihr Volk, das solche Pfeilspitzen verschoss.
Die Schagarr-Vallinora durchsuchte jedes Haus systematisch. Ihre erneute Suche brachte weitere Vorräte und eine schlecht versteckte Kiste voll mit weißem Stoff, vermutlich zum Verkauf bestimmt, zutage. Für sie bedeutete dieser Fund, dass sie keine Fetzen mehr tragen musste, sondern mit genügend Zeit Kleidung nähen konnte. Zuerst kam das Feuer an die Reihe. Kcagi lief zur großen Feuerstelle. Nochmals aufgeben, kam nicht infrage. Das Mittagslicht erlaubte ihr eine ungewöhnliche Methode. Eine Technik ihrer Mutter. Es war eine Lektion gewesen, die sie als Kind hatte lernen müssen, wie man aus Wasser Feuer schaffen konnte. Minuten lang stand sie starr über einem Häuflein schwarzer Wolle, mühsam auseinander gepfriemelt. In der Hand ein Blatt, darauf etwas Wasser. Das Licht schien durch einen Schnitt auf der rechten Blatthälfte. Es wirkte wie eine Linse und warf einen Lichtpunkt auf die Wolle. Kcagi besaß die Gabe für das Element Wasser. Sie war nicht so begnadet, dass man es als Waffe nutzen konnte, auch mangelte es ihr an Energie, aber um eine Wasserlinse zu formen, reichte es. In dem Augenblick, als das Tageslicht die Wolle entzündete, war Kcagi überglücklich. Gerade so schaffte sie es, sich lange genug zu beherrschen, um Zweige nachzulegen. Dann sprang sie hoch in die Luft, lachte und klatschte in die Hände. Große Äste folgten, sie ließen die Flammen anwachsen. Wenige Augenblicke später loderte ein prächtiges Feuer. Den wachsenden Hunger zu bekämpfen, war Kcagis nächstes Ziel. Am Nachmittag füllte sie ihre Ausbeute aus den anderen Häusern in eine alte Schüssel. Getreide, ein Paar Stücke Trockenobst, Kräuter, Salzwasser aus der Höhle. Zusammen ergaben sie ein nahrhaftes Gemisch. Kcagi ließ es in der Glut ruhen. Es sollte gut verkocht und vor allem weich sein. Kcagi nutze die Zeit bis dahin, um noch einmal den Boden nach Hilfsmitteln abzusuchen. Sie verwand einen Speer als Hilfe, um den Schlamm zu durchstöbern. Nicht weit von der Feuerstelle entfernt fand sie etwas Seltsames. Es schien wie einer der Bodendeckel im Glasknochen, der großen Festung ihrer Familie. Der Kristallturm besaß ein unterirdisches Kanalsystem und die Zugänge waren mit ähnlichen Platten abgedeckt. »Ein Kanaldeckel in der Wildnis?« Sie hob ihn an. Dieser hier war nicht aus Platin, sondern aus Holz und mit Leder bespannt. Er war leicht genug, dass sie ihn mit einer Hand stemmen konnte. Zuerst sah sie nur Finsternis. Ein Positionswechsel ließ Licht nach unten dringen. Sie sah ihr Spiegelbild. Offenbar wurde hier Wasser gelagert. Kcagi überlegte sogleich, wozu man das tat. Das Flussufer war vermutlich zu gefährlich, um täglich Trinkwasser zu schöpfen. Die Quelle in der Höhle fasste nur Salzwasser, das musste das Trickwasserlager der Siedlung sein. Die Entdeckung verriet ihr noch mehr. Vallinora konnten Salzwasser trinken. Lebten hier mehrere Völker zusammen? Kcagi fand eine Leiter, lächelte und ließ den Deckel zur Seite fallen. Mit Schwung glitt sie durch die Öffnung. Das Wasser spritzte, umfing sie. Was sie schmeckte, bestätigte ihre Vermutung. Das hier war ein Trinkwasserbehälter. Kcagi missbrauchte ihn als Badestelle. Für sie war das kein Verlust, das heiße Salzwasser war sicherer. Mit zwei Handgriffen entledigte sie sich des Stoffes und tauchte freudig in das Nass. Das Wasser war warm, zumindest wärmer als das Flusswasser. Ungefährlicher war das Baden hier auf jeden Fall. Kcagi wusch ihren Körper und genoss das feuchte Element. Ihrem langen, silbergrauen Haar gönnte sie eine ausgiebige Wäsche. Kcagi tauchte einige Male unter, sie fühlte sich erfrischt. Ein süßlicher Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Dem Wasser war ein duftendes Harz beigemischt. Es reinigte das Nass. Sie kannte das. Es ließ den Schmutz verklumpen. Das war nicht alles. Das Gemisch sank zu Boden, verband sich dort mit dem Holz und bildete eine feste Schicht. Solche Wasserfässer waren keine Langzeitlösung. Für den Aufbau einer Siedlung genügten sie. Kcagi widmete ihre Aufmerksamkeit ihrer Bekleidung. Die Stoffstreifen wrang sie wieder und wieder aus. Zuletzt hob sie den Stoff durch das Loch ins Freie. Das Wasser gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, das sie erst gegen Abend aufgab. Mühsam zog sie ihren Körper aus dem Fass hoch. Das Feuer loderte noch. Der Duft von Getreidebrei lag in der Luft. Die Stoffstücke band sie um einen Ast. Sie sollten erst einmal richtig durchtrocknen. Kcagi fühlte auf ihrer Haut die Wärme des Feuers. Sie fühlte sich wohl, etwas anderes zählte nicht. Ihre Nacktheit konnte weder jemanden erfreuen, noch gab es einen, den das störte. Sie aß von dem Brei, bis ihr Bauch unangenehm spannte. Satt gegessen, mit den Waffen unterm Arm, lief sie zurück zu der Höhle. Die Wärme pulsierte weiter in ihr. Sie hätte am liebsten beim Feuer geschlafen. Die Erinnerung an die unbekannte Kreatur, das Brüllen von vergangener Nacht, hielt sie davon ab. Kcagi überlegte sich die Sache gut. Was immer da draußen lauerte, sein Weg würde es nur an einen Ort führen: das Feuer, die Siedlung, die Essensreste. Sie hingegen war frisch gewaschen. Ihre Natur gab ihr zusätzlich Sicherheit. Der Organismus der Vallinora erzeugte ein Geruch neutralisierendes Enzym. Nicht einmal der beste Bluthund könnte sie aufspüren. Kcagi lief zur Höhle, ein heißer Stein vom Feuer gewärmt in Leder gehüllt begleitete sie. Einen letzten Blick in die Landschaft, dann schob sie die Waffen durch die Öffnung und folgte ihnen. Die Stoffe verschnürte sie zu einem Bündel. Heute Nacht dienten sie ihr als Kissen. Satt, gebadet und glücklich schmiegte sie sich in das Fell, packte den Stein und drückte ihn an sich wie ein kleines hartes Kissen. Kcagi errichtete ihr Nachtlager nahe der Höhlenöffnung, an der Stelle, durch die das Wasser abfloss. Hier war die Luft angenehm frisch. Kein Schrei, nicht ein Laut hielt sie davon ab, die Ruhe zu bekommen, die sie verdiente. Das Letzte, was sie aussprach waren ihre Pläne für den nächsten Tag. »Morgen wird gejagt.« Die Müdigkeit übermannte sie. Ihre letzten Gedanken galten ihrem Vater. Nach so vielen Jahren hatte er sie nicht vergessen.